Gestern kam ich vorbei um mich mitzunehmen in die Zukunft. Mein zukünftiges Ich erzählte mir, die Amis hätten mit der Wertvernichtung im Zuge der Finanzkrise ein Zeitreise-taugliches Wurmloch geschaffen. Aber ich kenne mich, das war bestimmt nur ein Scherz. Wie dem auch sei, die Zeitmaschine war echt, allerdings wenig berichtenswert. Zeitreisen ist ungefähr so spannend wie Fahrstuhlfahren. Seltsamerweise ist man aber eine Weile unterwegs, so eine gefühlte halbe Stunde. Ich hatte Zeit, Fragen zu stellen. Klingt blöd, aber die erste die mir einfiel, war die mit dem Lotto. Er (ich) sagte: Vergiss es, das verdirbt nur den Charakter. Das wäre zwar mal vorgekommen, in einer Woche gab es dann 800 Mal die richtige Kombination, darauf haben sie vier Wochen dicht gemacht und inzwischen wäre die Ziehung quantenkrytpografisch abgesichtert und man würde nur noch die Gewinner benachrichtigen. Aber Schach, sagte er, würde man kaum noch spielen, ein Computer hätte nachgewiesen, das Weiß immer gewinnnt.

Die zweite Frage, die ich ihm gestellt habe, ob er nicht sonstwas anrichten würde mit einer Zeitreise. Nö, meinte er, das wäre zu meiner Zeit total überschätzt worden, Everett hätte Recht. Dann fragte ich Ihn nach technologischen Durchbrüchen. Der beste wäre wohl Zeitreise, meinte er, aber ich sollte die Vergangenheit vergessen, man käme nur wurmlochbasiert zurück und vor 2008 wäre keines bekannt. Energierversorgung hätte man ein bisschen geändert, Sonnenerergie aus den Wüstenstaaten würde langsam Nummer eins, als Strom per Kabel geliefert und hier gepuffert. Die psychoaktiven Drogen wären jetzt nahezu ohne Nebenwirkungen und würden vor allem von Älteren genommen, zum ersten Mal würde die Jugend weniger Drogen nehmen als die Alten, sagte er und lachte. Und es würde  natürlich ständig was neues geben, es wäre gerade modern, sein eigenes Essen anzubauen. Wäre hier zwar Quatsch, aber eine Mode, die aus den asiatischen Großstädten rübergeschwappt sei.

Das Aussteigen war anfangs entäuschend, wahrscheinlich habe ich eine Hugo-Gernsback-Zukunft erwartet, aber wir waren noch in Dortmund, der Großteil der Häuser war gleich, es fuhren sogar noch ein paar der alten Autos rum, meist von jungen Leuten gefahren. Es wirkte ein bisschen urbaner und die alten Leute waren erstaunlich fesch. Die meisten neueren Autos war elektrisch und es gab wieder mehr Farben als silber, schwarz und blau. Dann nahm er mich mit in sein Büro. Großer Bildschirm, keine Tastatur, keine Maus, aber ein Stift. Er sagte, Tastaturen wären nur noch was für Leute, die schneller tippen als denken könnten und der Stift wäre nur für die Bildbearbeitung, sonst bräuchte man den auch nicht. Er hatte sogar noch einen Drucker, aber es gab keine Kabel außer für Strom. „Papierloses Büro?“ lachte er, „Auf’m Klo und im Büro wird man das immer brauchen“. Zeitung würde aber nicht mehr gedruckt und ein Großteil der Literatur erschiene elektronisch, das ginge auch ganz gut. Allerdings hätten sich ein paar Großkonzerne bestimmte Farbtöne gesichert und man müsste für die Verwendung Gebühren zahlen. Beim Prozess damals hätten die sich auf die Fraunhoferschen Linien berufen, im natürlichen Sprektrum würden auch ein paar Töne fehlen und das sei ja auch kein Problem. Und das würde direkt abgerechnet. Es gäbe keine Treiber mehr, alle Geräte hängen direkt am Evernet ohne lokale Verbindungen. Das hätte Wolfgang Schäuble nach der Wirtschaftskrise zur Bedingung gemacht, als es um die Staatsbeteiligung am Evernet ging, dass der überhaupt noch soweit gekommen sei nach dem Spaß, den Sie mit dem Bundestrojaner gehabt hätten, würde ihn heute noch wundern.

Und was Wirtschaft betrifft, es gäbe jetzt ein Grundeinkommen, aber das wäre haupsächlich werbefinanziert, deswegen würden gerade die Intellektuellen zusehen, dass sie sich komplett selbst finanzieren. Weltweit wären zwar ein paar üble Dinge passiert, aber damit wollte mir nicht die Laune verderben, außerdem wäre es auch nicht schlimmer gewesen, als ich es vermutet hätte und er müsste es ja wissen. Er lachte schon wieder, vielleicht hatte er auch etwas von den Drogen genommen, von denen er sprach, aber er machte einen sehr wachen Eindruck dabei.

Fernseher, Radio, Telefon gäbe es nicht mehr, das würde man alles mit dem Netz machen. An die Überwachung hätte man sich gewöhnt, es hätte zwar gar nichts gebracht, außer das die Menge der gesellschaftlich akzeptierten Verhaltensweisen größer geworden wäre. Außerdem überlege man, die Legislaturperioden größer zu machen, weil man ja ohnehin wisse, was der Bürger wolle. Sein Lachen wurde mir etwas unheimlich. Nö, aber im Ernst, sagte er, man wäre sowieso weltweit dazu übergegangen, dezentrale Verwaltungstrukturen aufzubauen, das wäre weniger anfällig und man wäre auch näher dran. Ich bekam eine Ahnung, aber er ging nicht näher drauf ein. Es war Abend geworden und ich war überascht, wie anders man mit Licht umging, irgendwie flächiger und freier, vielleicht nicht ganz so gemütlich. Er sagte, wir müssten bald zurück, weil sein Wurmloch-Slot nun käme. Wir stiegen wieder ein und unterhielten uns weiter. „Deine?“ fragte ich. Nö, sagte er, die Reise-Kapazitäten wären begrenzt und es würde sich nicht lohnen, seine eigene zu haben. Man müsste sich das eher wie eine gelegentliche Fernreise vorstellen als wie etwas alltägliches. Für das eigene Zeitmanagement hätte das kaum Vorteile. Ich fragte, ihn, wann wir uns wiedersehen würden und er sagte nur: „Spätestens morgen beim Zähneputzen, wenn du in den Spiegel schaust.“

Ich hakte nochmal nach und er sagte, ich solle nochmal in Ruhe über den Everett nachdenken, dann wüsste ich schon. Ich habe drüber geschlafen und weiß, was er meinte. Er kennt mich ja auch gut.

Irgendwie unspektakulärer als ich es vermutet habe, aber vielleicht muss man es auch einfach häufiger machen. Wenn das also jemand auf archive.org liest und noch einen Slot frei hat, ich käme gerne nochmal auf einen Tee mit.